polnischer abgang

Barbara am Strand, den Rücken zu mir, den Hintern ausgestellt, die Hände auf den Hüften, den Blick in Richtung Sonnenuntergang. Trotzend, aber still. Eine dunkle Fläche, hinter der die Sonne hervorstrahlt. Ich sehe nur, dass ihr auf der linken Backe der Stoff verrutscht ist. Da klebt der Sand auf der Haut, der auch beim Duschen nie ganz weggeht, und der mir nachher zwischen den Zähnen knirscht.

Die Abendsonne kann mich nicht mehr trocknen. Ich ärgere mich, dass mir die Lippen zittern. Du hast schon ganz blaue Lippen, hieß es früher. Das ist mir lange nicht passiert. Ich bin sonst nie am letzten Tag zum Strand. Immer am vorletzten Abend auf den Platz, ohne mir was anmerken zu lassen — und dann weggeblieben. Hab mich ins Café gesetzt, mich gelangweilt, immer auf dem Sprung, aber nicht noch mal hin. Das war vor Barbaras Zeiten.

Ich hab mich auch auf Partys selten verabschiedet. Polnischer Abgang, auch wenn ich alleine weg bin. Wenn nicht, hat es eh niemand erwartet. Wenn ich woanders aufgewacht bin, hab ich im Flur einen Zettel hingelegt. Auf die Kommode, in die Schale mit den Schlüsseln oder an das Notizbrett. So unterschiedlich sind die Haushalte nicht. Wenn es eine Schale für die Schlüssel gab, lagen oft Batterien und Pfennige mit drin. Und abgerissene Knöpfe. Was man nicht gleich versorgen kann, aber auch nicht wegschmeißen will. Einmal habe ich einen Gruß auf eine Autoscheibe gemalt und dann von der Scheibe ein Foto gemacht. Das Foto hab ich noch, aber wer auf dem anderen Sitz lag, weiß ich nicht mehr.

Barbara dreht sich um. »Hast du schon Tschüss gesagt?«

Ich schüttle den Kopf. »Aber das liebe Meer!«, sagt sie, »wer weiß, wann wir noch mal hier sind?«

Der Junge, der immer neben uns lag, starrt in den Sand vor seinen Füßen. Barbara geht zu ihm. Er sieht sie erst, als sie vor ihm in der Sonne steht. Sie hockt sich hin, sie reden. Geh ihm aus der Sonne, denk ich. Er schaut ihr zu lang auf die Brüste.

Wir fahren zurück in die Hügel, die Plätze am Wasser waren ausgebucht. Unserer liegt am Hang, aber die Zeltwiese ist unten. Kein Ausblick. Im Auto fliegt schon alles durcheinander, Handtücher, Wasserflaschen, zerknüllte Papiertüten. Überall Sand und Krümel und fettige Handabdrücke. In der Ablage unterm Navi sammelt sich Kleingeld mit Flusen und Kaugummipapierchen.

Ich gehe vom Waschhaus direkt ins Restaurant. Barbara hat Oliven bestellt. Sie schreibt Postkarten. Es müssen die sein, die sie ungern schreibt, oder die sie zu viel gekauft hat. Die wichtigen hat sie schon Anfang der Woche verschickt.

Die junge Kellnerin mit der derben Stimme hat ihren letzten Tag. Der Koch und der Barmann stellen ihr einen Schnaps nach dem andern hin. Sie lachen alle viel zu laut. Wenn sie ein Essen vom Tresen holt, verlangt der Koch für jeden Teller einen Kuss.

Dann stehen sie im Fenster des großen Saals. Drinnen sitzt niemand, aber sie müssen doch wissen, dass man auch von außen alles sieht. Sie wühlt ihm durch die Haare, er greift ihr in die Hose, knetet sie unterm Stoff. Dann hebt er sie hoch. Sie umschlingt ihn mit den Beinen. Als sie in die Küche wanken, legen einige Gäste das Besteck zur Seite.

Barbara hilft mir beim Packen. Sie rollt die Sachen so eng, dass immer noch Platz bleibt für ein Souvenir. Ich denke an den Koch und die Kellnerin und lege ihr die Hand an die Hüfte. Sie lacht und greift mir an die Hose. Wir ziehen uns aus. Sie dreht sich um und drückt das Gesicht ins Kissen. Nichts peinlicher als ein stöhnendes Zelt. Ich ziehe ihr die Backen auseinander und nehme mit dem Daumennagel einzelne Sandkörner weg.

Irgendwie gelingt es mir, das Zelt zu öffnen, ohne dass Barbara aufwacht. Ich lasse es offen und nehme meinen Rucksack aus dem Auto. Die Taschenlampe schwächelt. Ich lege die Batterien und meinen Wohnungsschlüssel zu dem Kleingeld in die Ablage.

Oben vom Schlagbaum hat man die schönste Aussicht. Über den Bergen fängt es an zu dämmern. Einige Wolken ziehen aufs Meer. Da kommt nichts nach. Der Himmel über mir ist sternenklar.