kotze funghi

Denn wo zwei oder drei versammelt sind in
meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.
Matthäus 18,20

Der kleine Patrick durfte nicht mit zum Strand. Scheißerei. Jetzt sitzt er bei uns im Küchenzelt. Behindert in dem Sinne ist er nicht, aber auch nicht so richtig da. Zu klein für sein Alter, aber nicht kleinwüchsig. Löst den ganzen Tag Sudokus, aber weiß nicht, wie die Monate heißen. Kein Fisch, kein Fleisch, der Junge. Dazu die dicken Lippen, und immer quillt der Speichel durch die schiefen Zähne.

»Was gibt’s denn heute Abend zu fressen?«, fragt er.

»Für dich Zwieback«, sagt der Koch.

»Bah.«

»Du bist doch krank.«

»Ist mir scheißegal.«

Der Koch und ich schütten Reste vom Vortag zusammen. Tomatensoße, Lauchsuppe, Kakao mit dicker Haut. Patrick kommt näher und guckt mit großen Augen in den Eimer.

»Was ist das denn?«

»Kotze Funghi«, sagt der Koch.

»Dein Abendessen«, sage ich. »Den Zwieback willste ja nicht.« Er guckt mich an mit seinem offenen Mund und zeigt auf den Eimer.

Als die anderen vom Strand kommen, läuft er ihnen entgegen. »Heute Abend gibt’s Kotze Funghi!«

»Na endlich«, rufen die Jungs. Ein paar Mädchen sind angewidert, das ist für Patrick nichts Neues. Einer der Leiter, ein Dachdecker, der immer mit nacktem Oberkörper geht, reibt sich den Bauch. Patrick guckt ihn an.

»Stimmt das wirklich?«

»Kotze Funghi? Ja klar.«

Nach und nach kommen alle in den Zeltkreis, zweiundfünfzig Kinder und die Leiter. Alles in allem sechzig Mann. Der Dachdecker pfeift seine Jungs ran, die ältesten im Lager.

»Macht mal was mit dem Patrick.«

»Och nee, nicht mit Panne Patrick!«

»Wenn ich noch einmal den Namen höre! Komm, der war den ganzen Tag schon nicht dabei. Nehmt den mit, der will einfach nur dabei sein.«

Patrick steht daneben und darf sich das anhören. Der Ort, wo wir hier sind, heißt De Panne, daher der Name.

»Sabber nich’ wieder so rum«, sagt der Älteste und gibt Patrick die Federbälle in die Hand. Dann streichelt er ihm über die Haare, und Patrick lehnt den Kopf an seine Schulter. Mitspielen darf er nie. Aber was für ein Balljunge! Wie ein junger Hund. Läuft in die Brennnesseln, sogar in die Brombeeren rein. Jeden Abend neue Pflaster.

Der Koch und ich machen uns an die Arbeit. Sechzig Schnitzel. Klopfen, salzen, pfeffern. Mehl, Ei, Krümel. Dann das Braten. Drei Flaschen Rapsöl. Die tiefen Pfannen auf dem offenen Gas. Wir stehen im heißen Fleischgeruch, obwohl das Zelt nach allen Seiten lüftet. Nebenbei die Kartoffeln. Salat mit Soße. Saft und Tee. Während alle essen, den Pudding anrühren. Danach muss alles wieder sauber. Die meisten der Kinder, vor allem die Jungs, haben noch nie im Leben gespült.

Als die Kinder in den Zelten liegen und die Leiter sich zum Saufen an den Tisch gesetzt haben, mache ich meinen Spaziergang. Ich setze mich an die Promenade und baue mir meine Tüte. Direkt am Strand nur Hochhäuser, soweit das Auge reicht. Sieht aus wie im Osten. Ich war noch nie im Osten, aber so stelle ich mir das vor: überall Hochhäuser.

Auf dem Rückweg haut es mir richtig rein. Ich muss winzige rote Augen haben. Aber die anderen werden so voll sein, dass sie es gar nicht merken. Ich hör sie schon am Eingang. Dass die Belgier das mitmachen. Dabei hatten wir extra den hintersten Winkel bekommen.

Der Leitertisch ist voll mit leeren Flaschen. Was die wegsaufen. Der Kaplan ist angekommen. Wir winken uns zu. Kommt immer ein paar Tage zu Besuch. Eigentlich Millionenerbe, ein schwarzes Schaf, sagt der Koch.

Der Dachdecker lacht, als ich reinkomme.

»Hast du ’n Ladegerät für Nokia?«

Ich schüttel den Kopf. Wie die mich angucken alle. Ich setz mich dazu und krieg Bier und Whiskey-Cola hingestellt.

»Ja, dacht’ ich mir schon«, sagt er. »Ich hab’ deine Tasche durchgeguckt. Nur damit du’s weißt.«

Warum fragt er dann noch? Und warum sagt er das so? Was geht der überhaupt an meine Tasche? Alle gucken mich an.

»Komm«, sagt der Koch, »wir machen ’n paar Snacks.«

Beim Saufen geht immer gut was weg. Wir machen Baguettes mit Meeresfrüchten und Remoulade. Großes Hallo. Der Kaplan steht auf, wir falten die Hände.

»Also ich liebe ja Meeresfrüchte. Alles, wie es da so liegt mit den vielen Beinchen nach oben. Sind ja alles Spinnentiere, da darf man gar nicht dran denken. Dabei bin ich überhaupt kein Meerestyp. Wenn ich mal Urlaub mache, immer in die Berge. Schon der Anblick der Berge entspannt mich, da spüre ich wirklich ... die Majestät Gottes. Letztes Jahr war ich mit Freunden in den Alpen. Und was hab’ ich mir im Restaurant bestellt? Den Krabbencocktail.«

Er segnet das Essen und nimmt sich das dickste Baguette.

Ein paar Runden später hat der Dachdecker eine Idee.

»Komm, wir machen Dosenschießen.«

Der Kaplan weiß nicht, was gemeint ist.

»Ihr wollt doch in eurem Zustand nicht auf irgendwas schießen?«

»Nein, nicht schießen. Dosenschießen.«

»Was soll das denn sein?«

»Du machst ein Loch in die Bierdose, setzt das an und machst die Dose oben auf. Dann schießt das raus, bis die Dose leer ist.«

»Wie, alles in einem Zug?«

»Ja klar!«

Der Kaplan hat Angst. Ich kriege auch eine Dose. Der Dachdecker zieht sich das Hemd aus, sogar der Kaplan zeigt die Hühnerbrust. Ich traue mich nicht, ich hasse solche Momente. Der Koch reicht uns einen Büchsenmilchöffner, und einer nach dem anderen machen wir uns das Loch in die Dose.

Wir setzen an und öffnen auf Kommando. Das Bier schießt mir hart und kalt in den Rachen. Die anderen brüllen und feuern uns an. Der Kaplan hat schon zu kämpfen. Ich verschlucke mich und gebe auf, das Bier zischt in die Zeltecke. Der Dachdecker gewinnt, der Kaplan ist noch dran. Alle trommeln auf den Tisch. Er schafft es und schlägt sich vor die Brust. Großer Jubel.

Wir stehen noch ein bisschen rum, ich natürlich wie der letzte Depp. Der Kaplan ist stolz, die anderen klopfen ihm auf die Schulter. Auf einmal macht er große Augen und hält sich die Hand vor den Mund.

»Ich kann nicht rülpsen«, sagt er. »Meine Mutter hat es mir verboten.«

Alle lachen.

»Nein, im Ernst«, sagt er, »das ist so tief drin, ich mach das nie. Nicht mal, wenn ich allein bin.«

»Brauchst dich doch nicht zu schämen«, sagt der Dachdecker und rülpst laut.

»Du musst«, sagt der Koch, »das hält dein Magen nicht aus.«

»Ich kann aber nicht!«

Der Kaplan ist verzweifelt. Er hält sich den Bauch, die Hand vorm Gesicht, Tränen in den Augen, und tritt von einem Fuß auf den anderen.

»Willste mal rausgehen?«, fragt der Dachdecker.

Der Kaplan nickt und läuft aus dem Zelt in Richtung Waschhaus.

Am nächsten Morgen stehe ich im Küchenzelt und räume den Leitertisch auf. Den Koch hat es jetzt auch erwischt. Scheißerei. Der Kaplan setzt sich an den Tisch und trinkt ein Glas Milch. Wir nicken uns zu und schweigen.

Patrick kommt auf uns zu. Ich drehe mich weg, der Kaplan ist zu langsam. Ich sehe noch, wie er sich ärgert. Patrick grinst und stellt sich vor ihn hin.

»Was gibt’s ’n heute zu fressen?«

Der Kaplan schaut kurz in den Himmel. Dann hockt er sich hin und nimmt Patricks Gesicht in beide Hände.

»Kotze Funghi, Patrick. Leckere Kotze Funghi.«